Zeichen von Panik
17. März 2020
Dr. Martin Lück
Leiter Kapitalmarktstrategie BlackRock
Der Beginn dieser Woche fühlte sich an wie ein Dejà Vu. Wieder war am Wochenende die Bedrohung durch den Coronavirus auf bisher unvorstellbare Weise näher gekommen und hatte gefühlt unser aller Leben verändert. Und wieder senkten die Finanzmärkte den Daumen über die Reaktion der Wirtschaftspolitik. Zuerst hatte die EZB sich am vergangenen Donnerstag bemüht, die Wogen mit einem eigentlich durchaus sinnvollen Paket zu glätten, nämlich weiteren Anleihekäufen und vor allem gezielten Kreditlinien für Unternehmen, die infolge der Krise in Schwierigkeiten geraten. Dennoch reagierte der Markt enttäuscht, vor allem wohl, weil die EZB auf die weithin erwartete Zinssenkung verzichtet hatte. Ob letztere überhaupt etwas bewirkt hätte, ist dabei ernsthaft zu bezweifeln. Ähnlich erging es jedenfalls der Fed, die Zinssenkungen im Eiltempo und in enormer Größenordnung verkündete, zunächst 50 Basispunkte am 3. März und dann am vergangenen Wochenende noch einmal 100 Basispunkte, in Kombination mit Anleihekäufen im Volumen von 700 Mrd. U.S. Dollar. Auch angesichts dieses nun wirklich massiven Eingreifens blieben Finanzmarktteilnehmer unbeeindruckt. Allein dies spricht schon dafür, dass die Coronaviruskrise anders ist als bisherige tiefe Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie etwa die Finanzkrise 2008/09 oder der 11. September 2001. Was also ist es, das Marktteilnehmer so skeptisch macht?
Das große Problem ist, dass weder Tiefe noch zeitliche Erstreckung der Rezession, deren Beginn wir gerade erleben, absehbar ist. China, das die Verbreitung des Coronavirus in der Provinz Hubei sechs Wochen lang vertuschte und erst eingriff, als dramatisch steigende Sterbefälle zum PR-Desaster für die kommunistische Partei zu werden drohte, scheint inzwischen die Eskalation der Infektionsfälle unter Kontrolle zu haben, meldet aber dramatisch schlechte Makrozahlen für die ersten Monate des Jahres. Die Stilllegung des gesellschaftlichen und ökonomischen Lebens über Wochen schlägt sich naturgemäß in den Statistiken zu Industrieproduktion und Einzelhandel durch, und so lag am Jahresanfang der Output der chinesischen Industrie mehr als 13% unter Vorjahresniveau, die Einzelhandelsumsätze brachen sogar um über 20% ein. Das könnte einen ersten Vorgeschmack geben auf das, was uns für die entsprechenden europäischen Daten ins Haus steht. Immerhin sind inzwischen die dritt- und viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, Italien und Spanien, de facto stillgelegt, und in der größten und zweitgrößten, Deutschland und Frankreich, hat sich die Aktivität massiv verlangsamt. Man muss kein Schwarzmaler sein, um mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen auf einiges gefasst zu sein. Und dabei ist noch nicht einmal von den USA die Rede gewesen, deren Gesundheitssystem auf die vermutlich bald stark steigende Zahl von Sars-CoV-2-Infektionen nicht vorbereitet sein dürfte.
Noch schwieriger ist die zeitliche Erstreckung zu schätzen. Denn selbst im Fall eines milden Eskalationsszenarios dürften die Fallzahlen in den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien – um nur einige der größeren Volkswirtschaften zu nennen – noch eine ganze Weile steigen, bevor sie zurückgehen. Und auch dieses Szenario bleibt nur dann ein mildes, wenn gleichzeitig die drakonischen Maßnahmen, die inzwischen in Italien und Spanien ergriffen wurden, zu sinkenden Infektionszahlen führen. Realistischerweise könnte dennoch auch in diesem milden Szenario kaum vor einer ernsthaften Besserung vor dem Frühsommer gerechnet werden. Die Finanzmärkte würden einen gnädigen Ausgang der Krise spätestens dann einzupreisen beginnen, wenn rückläufige Fallzahlen glaubhaft absehbar werden.
Und natürlich gibt es Hoffnung. Neben der Erwartung, dass „social distancing“ und eine deutliche Verlangsamung des gesellschaftlichen Lebens zu einer Abflachung der Infektionskurve führen, könnte auch das Wetter eine Rolle spielen. Zwar sind sich auch führende Virologen in der Frage uneins, ob Sars-CoV-2 nun ab 26-27 Grad Celsius abstirbt oder aber nahezu komplett temperaturresistent ist (für beide Theorien gibt es entsprechende Studien), aber allein die Tatsache, dass mit frühlingshaften Temperaturen die Menschen in unseren Breiten gesundheitlich robuster, vor allem weniger erkältungs- und grippeanfälliger werden, dürfte helfen. Außerdem scheint die Aussicht auf die zeitnahe Entwicklung eines Impfstoffs doch nicht so schlecht zu sein, wie das absurde Gezerre um die Tübinger Firma CureVac gezeigt hat.
Was bedeutet das für Anleger?
Anleger, die sich nach dem geeigneten Einstiegszeitpunkt fragen, werden Überlegungen wie jene oben zurzeit permanent anstellen. Und vermutlich werden viele zum Schluss kommen, dass es nur dann schon Zeit ist, Risikopositionen wieder aufzustocken, wenn wir dem Gipfel der Infektionszahlen nahe kommen. Dafür sind allerdings Annahmen notwendig, die aus heutiger Sicht heroisch anmuten. Realistischer erscheint es, von einem weiteren Anstieg der Fallzahlen auszugehen, mindestens wohl über die nächsten Wochen. Das bedeutet, dass es auch an den Risikomärkten erst noch düsterer werden muss, bevor der Silberstreif am Horizont erscheint.