Blick auf die Märkte im April 2020 #1

USA über alles

07. April 2020
Dr. Martin Lück
Leiter Kapitalmarktstrategie BlackRock

Wenn es zutrifft, dass tiefe Krisen den wahren Menschen zu Vorschein bringen, läßt dies mit Blick auf die politische Führung unserer Verbündeten in den USA wenig erfreuliche Schlüsse zu. Zuletzt wurde bekannt, dass amerikanische Behörden angeblich die Beschlagnahmung von Gesichtsmasken für Klinikpersonal (sogenannten FFP2-Masken, die auch dem Träger Schutz vor Ansteckung bieten) anordneten, die von NATO-Partnerländern wie Kanada, Frankreich und auch Deutschland in China bestellt und auch bezahlt worden waren. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes nannte dies, ungewöhnlich deutlich für einen Diplomaten, einen „Akt moderner Piraterie“. Sollte sich dies bestätigen, handelt es sich zumindest um eine Tat, die auf ein hohes Maß an Verzweiflung hindeutet.

Und in der Tat sind die Bilder aus New York schockierend. Leider waren sie auch vorhersehbar, angesichts der wochenlangen Realitätsverweigerung des US-Präsidenten. Der Coronavirus sei ein Scherz, hieß es lange aus dem Weißen Haus, nur eine Grippe, und im übrigen sei man bestens vorbereitet. Viel zu spät schaltete Trump in den Krisenmodus und gibt sich seitdem umso grimmiger als Feldherr im Krieg gegen den Virus. Viele haben dem Präsidenten prophezeit, dass ihm spätestens in einer Krise wie der gegenwärtigen sein Narzissmus um die Ohren fliegen würde, und in der Tat scheint inzwischen eine knappe Mehrheit von 52% der Amerikaner sein „Krisenmanagement“ negativ zu beurteilen. Interessant ist allerdings zweierlei: Erstens, dass es nur 52% sind, und zweitens, dass Trumps allgemeine Zustimmungswerte (also jene, die seine gesamte Amtsführung bewerten) mit rund 50% die höchsten seit Januar 2017, dem Monat seiner Amtseinführung, sind. Ob Trump also wirklich politisch erledigt ist, wie es etwa der US-Ökonom und Crash-Prophet Nouriel Roubini voraussagt, scheint keineswegs ausgemacht.

Aus Marktsicht steht jetzt die entscheidende Frage an, ob sich die Epidemie auf andere amerikanische Metropolregionen ausweitet. Sollte dies der Fall sein, könnte ein längerer und noch härterer Shutdown der Wirtschaft die Folge sein, dann könnten sogar die sehr umfangreichen Finanzhilfen des Staates von bisher gut zwei Billionen Dollar sich als nicht ausreichend erweisen. In den ersten zwei Wochen des Herunterfahrens meldeten sich rund 10 Millionen Amerikaner arbeitslos, der Arbeitsmarktbericht (Non-Farm Payrolls) für März verzeichnete einen Jobabbau von 701.000 Stellen außerhalb der Landwirtschaft, die Arbeitslosenquote schnellte von 3,5% auf 4,4% nach oben. US-Volkswirte schätzen, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist, manche gehen von Arbeitslosenquoten bis 30% aus. Das entspräche rund 50 Millionen Menschen. Sollte es so schlimm kommen, wird der Markt beginnen, auf weitere konjunkturstützende Maßnahmen der wirtschaftspolitischen Entscheider zu schielen.

Erscheint es, als seien die Vereinigten Staaten auf dem Weg von „America First“ zu „USA über alles“, so dürfen wir Europäer uns beim Thema nationaler Egoismen auch getrost an die eigene Nase fassen. Denn das Gezerre um Solidarität mit den am stärksten betroffenen Ländern, allen voran Italien und Spanien, hat längst den Eurozonen-Klassiker „Eurobonds oder nicht Eurobonds“ wiederbelebt. Die Bundesregierung läßt hier mit ihrer erneuten Verweigerung sogenannter Corona-Bonds eine Gelegenheit aus, Vertrauen zurückzugewinnen. Schon vor Wochen hätte Berlin proaktiv sagen sollen: Schaut, wie haben eine nie dagewesene Krise in Europa. Wir sind bereit, mit einer einmaligen, gemeinschaftlich begebenen Corona-Anleihe unserere Bonität zur Verfügung zu stellen und damit den am stärksten betroffenen Ländern Milliarden Euro an Zinskosten zu ersparen. Dies bedeutet nicht den dauerhaften Einstieg in die Schuldenvergemeinschaftung, sondern einen Akt besonderer Solidarität in besonders herausfordernden Zeiten. Man hätte damit den Vorwurf mangelnder Verantwortung für die Gemeinschaft widerlegen, vielleicht sogar einen Teil des schwer gestörten Verhältnisses zu den Südeuropäern reparieren können. Leider hat die Bundesregierung, wohl aus politischem Kalkül und aus Angst vor dem rechten Rand, diese Gelegenheit nicht ergriffen. Der Schaden könnte enorm sein, denn als Folge nimmt nun täglich der Druck aus Südeuropa zu, wo die Schuldenstände durch die Krise außer Kontrolle zu geraten drohen. Eines vermutlich nicht allzu fernen Tages könnten Berlin, Den Haag und andere Coronabondsverweigerer gezwungen werden, doch noch einer Schuldenvergemeinschaftung zuzustimmen, um eine Neuauflage der Eurokrise und damit ein Auseinanderfallen der Eurozone zu verhindern. Aber dann wird es zu spät dafür sein, dies positiv zu verkaufen. Zum Jagen getragen zu werden ersetzt kein proaktives, solidarisches Handeln.

Was bedeutet das für Anleger?

Marktteilnehmer haben in der letzten Woche begonnen, diesen Konflikt in Form geweiteter Risikoaufschläge für italienische und spanische, interessanterweise aber auch französische Staatsanleihen einzupreisen. Die Erfahrung vergangener europäischer Verteilungskämpfe lehrt, dass erst am Rand des Abgrunds Kompromisse gefunden werden, insofern könnte sich dieser Trend über die nächsten Wochen fortsetzen.
Darüber hinaus sehnen nicht nur alle Menschen in den vom Shutdown betroffenen Ländern, sondern auch Anleger eine baldige Lockerung der Beschränkungen herbei. Inzwischen wird überall über die auch an dieser Stelle (siehe Marktausblick der letzten Woche) besprochene Abwägung diskutiert. Sollte es, wie wir erwarten, spätestens Ende April zu einem Strategiewechsel kommen, also einer selektiven Öffnung gesellschaftlicher und ökonomischer Aktivität, wäre dies auch aus Anlegersicht eine gute, lang ersehnte Nachricht. Grenzenloser Optimismus wäre dennoch auch für diesen Fall fehl am Platz. Dafür sind die Gefahren einer weiteren Ausbreitung der Epidemie, vor allem in den USA, aber auch in vielen Schwellenländern, weiterhin viel zu real.

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