Blick auf die Märkte im Februar 2020 #1

V wie Virus …und wie V-förmige Erholung

3. Februar 2020
Felix Herrmann, CFA
BlackRock Kapitalmarktstratege

Die Veröffentlichung der chinesischen Einkaufsmanagerindizes am vergangenen Freitag hatte etwas von einem Blick in eine gefühlt lange vergangene Zeit. Wie die Frühindikatoren zeigten, wies das verarbeitende Gewerbe in China zu Beginn des Jahres einen Anstieg der Aktivität auf und auch der Dienstleistungssektor machte einen durchaus stabilen Eindruck. Mit dem Ausbruch und der Verbreitung des Coronavirus, der in den Daten noch keine Berücksichtigung fand, dürfte dieser Optimismus jedoch erst einmal wie weggeblasen sein.

Gerade die Unsicherheit über den weiteren Verlauf des Virus belastet Wirtschaft und Märkte. Wenngleich die weltweite Anzahl der Grippetoten auch in diesem Jahr wieder um ein vielfaches höher sein dürfte als die Todesfälle durch das neuartige Virus, so liegt der aus Marktsicht entscheidende Unterschied zwischen den beiden Viren vor allem in den getroffenen Maßnahmen als Reaktion auf die Erkrankungen. Während das Leben bei einer Grippewelle aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive nahezu unverändert weiter geht, legen die Vorkehrungen zur Eindämmung des Coronavirus die Wirtschaft in weiten Teilen Chinas nahezu komplett lahm – mit erheblichen Auswirkungen für die gesamte Weltwirtschaft.

Obwohl jeder neuartige Virus anders ist, so gibt es doch gerade was die Auswirkungen auf das Wachstum betrifft, typische wiederkehrende Muster. So ergab sich in der Vergangenheit in aller Regel ein unmittelbarer negativer Effekt auf das Wachstum, gefolgt von Nachholeffekten und Erholung nachdem das Virus in den Griff bekommen wurde. Ein ähnlicher V-förmiger Verlauf ist auch dieses Mal wieder zu erwarten. Was jedoch die Tiefe des V, also die Tiefe der Wachstumsdelle betrifft, so ist durch das Coronavirus ein schärferer Rückschlag für das Wachstum zu befürchten. Hintergrund sind die deutlich aggressiveren Gegenmaßnahmen gegen das Virus etwa im Vergleich zur Eindämmung des SARS-Pandemie im Jahr 2003. Außerdem sind die Wertschöpfungsketten heute weit straffer getaktet: „Just-in-time“-Lieferketten bedeuten einen höheren wirtschaftlichen Schaden, wenn es im Ablauf einmal knirscht. Und da China heute viel wichtiger für die Weltwirtschaft ist als noch zu Beginn des Jahrtausends, dürfte auch der Schaden für die Weltwirtschaft größer sein.

Sobald allerdings die Anzahl der Neuerkrankungen zurückgeht und der gesamtwirtschaftliche Schaden abzuschätzen ist, dürfte Chinas Regierung – entgegen unserer früheren Prognose – angemessene Stimulusmaßnahmen ergreifen, um das Wachstumsziel von voraussichtlich 5,5% für das Gesamtjahr 2020 nicht aus den Augen zu verlieren. Die Möglichkeit für eine angemessene Reaktion ist vorhanden. Auch auf globaler Ebene ist zu erwarten, dass eine Krise wie diese ein höheres Maß an Koordination herbeiführt und gegebenenfalls fiskal- und/oder geldpolitische Reaktionen folgen.

Fest im Visier hat derweil Bernie Sanders die Nominierung der Demokratischen Partei zum Präsidentschaftskandidaten in den USA. Sollte er, wie es die Wettquoten andeuten, gestern die Vorwahlen in Iowa gewonnen haben, könnte er das Momentum nutzen und auch in den bevorstehenden Primaries in New Hampshire und Nevada den Sieg erringen, denn auch dort liegt Sanders in den Umfragen vor Joe Biden. Mit viel Rückenwind vor dem „Super Tuesday“ am 3. März könnte der Senator aus Vermont den Rückstand in den nationalen Umfragen auf Biden verkürzen und einer der heißesten Kandidaten auf die Kandidatur werden. Wenngleich die Nominierung ein Marathon und kein Sprint ist und bis zur Nominierung im Juli noch viel passieren wird, dürfte Trump den Erfolg von Sanders mit Genugtuung betrachten, sind doch seine Chancen gegen ihn besser einzuschätzen als etwa gegen Biden, da Sanders Agenda für den gemeinen „Swingvoter“ in den USA zu weit links liegen dürfte.

Was bedeutet das für Anleger?

Das Coronavirus versetzt Anleger in ein Dilemma. Einerseits erkennen sie, dass sich die Weltwirtschaft jenseits des Virus besser schlägt als noch über weite Teile des letzten Jahres. Außerdem dürfte das Virus nur für eine Delle sorgen, nicht aber für eine nachhaltige Kehrtwende in Richtung einer geringeren wirtschaftlichen Dynamik. Andererseits weiß niemand, wann das Corona-Problem gelöst sein wird und wie stark die Märkte bis dahin noch in Mitleidenschaft gezogen werden. Viele Experten rechnen nicht damit, dass wir den Höhepunkt der Pandemie bereits in dieser Woche erleben.

Grundsätzlich sollten Anleger durch kurzfristige Marktturbulenzen hindurchschauen und den Fokus auf die Markttreiber legen, die über einen längeren Zeitraum hinweg von Bedeutung sind. Dazu zählt etwa die Gewinnentwicklung der Unternehmen, die gerade in den USA besser zu sein scheint, als gedacht. Darauf deuten die ersten Zahlen der Q4-Berichtssaison hin. Rund drei Viertel der Unternehmen in den USA konnten die Erwartungen der Analysten übertreffen, in Europa waren es bis dato immerhin mehr als 60 Prozent. Gerade der Technologiesektor in den USA kann vor Kraft kaum laufen, was unter anderem zur Folge hat, dass die Marktkapitalisierung allein von Apple mittlerweile die des kompletten DAX hinter sich gelassen hat.

Wenngleich die Berichtssaison für Q4 ähnlich wie die Veröffentlichung der chinesischen Einkaufsmanagerindizes ein Blick in die Zeit vor dem Coronavirus ist, so sollten Anleger ihre Portfolios aufgrund der Pandemie wenn überhaupt nur taktisch anpassen beziehungsweise absichern und eher Mut aus dem Verlauf des DAX aus dem Jahr des SARS-Virus schöpfen. Während der DAX aufgrund des Virus seinerzeit um mehr als zehn Prozent einbrach, erholten sich die 30 größten deutschen Aktienwerte im Nachgang und der Index beendete das Jahr mit einem Plus von 37 Prozent. Eine derart positive Gesamtjahresentwicklung steht für 2020 nicht ins Haus. Dennoch hat die Neubepreisung der letzten Tage unseren konstruktiven Blick auf die Aktienmärkte eher gestärkt.

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